„What the hell are these people thinking?“ war die Frage eines Zuschauers am Schluss von Cory Doctorows Vortrag über die Politik des Copyrights (6. Dezember 2011, im Walcheturm Zürich).
Soweit ich verstehe, ist folgendes passiert:
Die althergebrachten Geschäftsmodelle der Unterhaltungsindustrie sind durch die technische Entwicklung aus dem Lot geraten. Vor 10 Jahren verlor die Musikindustrie ihr Distributionsmonopol. Die Filmindustrie sah zu und wurde wenige Jahre später selber zum Opfer von steigender Bandbreite und den digitalen Verteilungsmechanismen, welche effizienter sind als Plastikscheiben durch die Welt zu schicken. Die Buchindustrie sah zu und hoffte auf den Konservatismus der Leser und nahm den wachsenden E-Book-Markt nicht ernst.
Alle verschlossen die Augen und hofften, dass es nur die anderen trifft.
Und dann kamen die Computerfirmen und übernahmen den Markt. Apple iTunes, Netflix, Amazon Kindle etc. sind jetzt der primäre Zugang für den Medienkonsum. Und haben die Kontrolle übernommen: Apple hat der Musikindustrie DRM ausgeredet, Netflix wird selber zum Produzenten (Weil sie es sich leisten können und ihre Kunden besser kennt, als je ein Filmstudio zuvor.) Und Amazon hat mit 70-80% Marktanteil ein besonderes Problem für Verlage geschaffen: Sie müssen bei Amazon publizieren, aber Amazon hebelt das klassische Verlagsmodell mit ihren selbstpublizierenden Autoren zunehmend aus. Dank dem Kindle-DRM, auf dem die Verlage insistieren, sind die Konsumenten effektiv bereits an Amazon gebunden.
Gleichzeitig erleben die bisherigen Konsumenten eine neue Art von Macht: Die Möglichkeit, mit einfach verfügbaren Mitteln die eigene Kreativität auszuleben. Oder wie es Moby in der Doku Press Pause Play ausdrückt:
In the Olden Days of thirty/fourty/fifthy years ago, people didn’t make things. So people would go to photography exhibits, people would go buy records and there were professional artists. And now everybody is a photographer, everybody is a filmmaker, everybody is a writer, everybody is a musician. […] Anybody can makit it. They know the secrets now.
Und was macht eine ganze Industrie, wenn gleich von zwei Seiten unter Druck gerät? Sie versucht der technischen Entwicklung mit politischem Lobbying Einhalt zu bieten. Das Resultat sind völlig wirklichkeitsfremde Gesetze wie ACTA und SOPA, welche auf nicht-demokratischem Wege durchgepeitscht werden müssen, damit sie überhaupt eine Chance haben, in Kraft zu treten.
Es sind interessante Zeiten, verwirrende Zeiten, aufregende Zeiten, aber die Guten Alten Zeiten werden nicht wieder zurück kommen. Und können nicht per Gesetz erzwungen werden. Davon bin ich überzeugt.
…we’ve moved on.
Den vollständigen Vortrag gibt es auf Allmend.ch.
Keine Frage, das sind in der Tat interessante, verwirrende, aufregende Zeiten, aber was macht die Mehrzahl der Autoren? Die scheint das alles nicht zu interessieren, die vertrauen weiter auf ihr gutes, altes Urheberrecht und die Verlage, anstatt neue, eigene Wege zu gehen. Und damit meine ich nicht die Publikationsversuche via Amazon und Co., wo zunehmend Bücher von Hobbyautoren auf den Markt kommen, die nicht einmal die Grundanforderungen an Rechtschreibung und Typografie erfüllen. Nein, was ich meine sind andere Modelle der Lizenzgebung von Büchern (CC-Lizenzen zum Beispiel), damit verbunden die Möglichkeiten des Remixens von Texten, kurzum: die Erlaubnis, Geschriebenes Kopieren, Weitergeben und Verändern zu dürfen. Das wäre ein Weg, um Literatur nicht nur am Leben, sondern um sie aktuell zu halten. Docotorow hat es vorgemacht, und im deutschen Sprachraum gehen Autoren wie die Quandary Novelists (http://www.the-quandary-novelists.com/) diesen Weg weiter. Aber das sind eben nur sehr, sehr weniger, derweil im Bereich der Musik offene Lizenzen, Remix-Kulturen und ähnliches viel weiter verbreitet sind. Die Autoren könn(t)en davon eine Menge lernen!