IT-Infrastruktur einer Wohnbaugenossenschaft

Ich wohne seit acht Jahren in der Wohnbaugenossenschaft Oberfeld in Ostermundigen und engagiere mich dort unter anderem in der IT-Grupp. Letzte Woche haben wir von einer anderen Genossenschaft eine Anfrage bezüglich unserer IT erhalten.

Ich habe die Anfrage ausführlich beantwortet und dachte dass das vielleicht auch für andere Institutionen nützlich sein könnte.

Disclaimer: Alle Firmenangaben ohne Absicht zur Werbung, sondern nur um möglichst konkret zu werden.

Zusammenfassung

Nicht gross konzipieren, mit einfachen Lösungen anfangen.

Vielleicht längerfristig: Einen Blick auf Flink.coop werfen.

Kontext: Unsere Wohnbaugenossenschaft

Die WBG Oberfeld gibt es seit knapp 20 Jahren, die Wohnungen wurden von 2013 bis 2015 erbaut und bezogen. Wir haben 100 Wohnungen, die Hälfte im Stockwerkeigentum, die andere Hälfte vermietet. Baulich sind es 7 Häuser. Es wohnen ca. 170 Erwachsene und 70 Kinder in der Siedlung.

Organisiert ist das Ganze in einem komplizierten Konstrukt mit Stockwerkeigentümerschaften (STEG), Miteigentümerschaften (MEG) und der Genossenschaft (WBGO). Damit haben Mieter und Eigentümer die gleichen Mitspracherechte. Eine externe Verwaltung kümmert sich um die Mietabrechnungen & STEG-Abrechnungen. Ansonsten haben wir eine interne Verwaltung welche zuständig ist für Bau, Rechtliches, Kontakt zur Gemeinde etc.

Der Alltag spielt sich aber hautpsächlich in den Themengruppen ab. Diese konzentrieren sich auf einzelne Themen (Aussenraum, Gemeinschaftsräume, Werkstatt, Sauna, Integration etc.), sind unterschiedlich gross, haben unterschiedliche Budgets zur Verfügung und sind unterschiedlich aktiv. Es gibt keinen formellen Prozess um eine Themengruppe zu gründen, nur wenn du Budget willst musst du das an der GV beantragen.

IT-Gruppe

Vor und während dem Bau gab es die IT-Gruppe nicht. Die Verwaltung hat sich um die Kommunikation und die Datenablage (SharePoint bei Greendisk) selber gekümmert. Ein externer Dienstleister hatte eine öffentliche Webseite auf Drupal-Basis erstellt.

Nach dem Bezug der ersten Wohnungen hat sich schnell ein erhöhter Bedarf nach Austausch innerhalb der Häusern ergeben. Ich gehörte damals zu den Bewohnern im ersten fertiggestellten Haus und habe als Informatiker einfach mal eine Domain registriert und Mailverteiler eingerichtet. (Auf welchen dann eifrig Word-Dateien als Know-How-Dokumente herumgemailt wurden.)

Nachdem alle Häuser gebaut und bezogen wurden, haben wir einen ersten Versuch mit einer fixen IT-Gruppe gestartet: Ein Team von sieben Informatikern haben geplant, konzipiert, evaluiert und konzipiert. Wir haben Rückfragen gemacht bei den Bewohnern, Verwaltung, Themengruppen über Bedürfnisse und Ideen.

Geplant wurden eigens entwickelte Mitglieder- und Genossenschaftsverwaltung, Mailinglisten, Know-How-Datenbank, Tauschbörse, Reservationssysteme, Kalender, Datenablage, öffnentliche Webseite, wenn möglich alles mit Single-Sign-On.

Schlussendlich sind praktisch alle Efforts im Sand verlaufen: Es hatte niemand den Lead übernommen, es wurden keine harten Anforderungen oder Deadlines von der Verwaltung gestellt. Und die Siedlung funktionierte auch ohne die oben genannten Systeme. Die Minimallösung bestand aus den Mailinglisten und einem Reservationssystem für die Gemeinschaftsräume.

Die Verwaltung hat versichert dass für die Infrastruktur ein Budget zur Verfügung stände, wir waren aber immer der Meinung dass das nicht notwendig sei und wir alles selber machen können. Aber niemand hatte wirklich Zeit dafür.

IT-Gruppe Aktuell

In der Zwischenzeit ist die IT-Gruppe auf drei Mitglieder zusammengeschrumpft. Das macht die Terminfindung einfacher und zwingt uns aufgrund der beschränkten Ressourcen auch zum Fokussieren auf einfache Lösungen. Wir treffen uns unregelmässig ca. 1x pro Monat (Zumindest vor der Pandemie) entweder zum koordinieren oder zum gemeinsamen hacken. Da wir alle Kinder haben ist unsere verfügbar Zeit limitiert und es ist nicht immer einfach oder produktiv am Abend sich noch daran zu machen. Versuche mit Hackdays waren ermutigend, aber die Zeit dafür können wir auch nicht jeden Monat aufwenden.

Also müssen pragmatische Lösungen her, nicht zu viel selber entwickeln wollen.

Koordination über Trello, Slack und GitHub.

Mailinglisten

Der Löwenanteil an siedlungsinterner elektronischer Kommunikation läuft über die Mailinglisten (Mailman, gehostet bei unserem Provider Cyon).

Es gibt eine moderierte Liste um alle BewohnerInnen zu erreichen. Diese ist angedacht für siedlungsrelevante Themen. Später kam die Marktplatz-Liste dazu, unmoderiert. Auf diese kann man ohne schlechtes Gewissen auch nicht so siedlungsrelevante Themen schreiben. Weil das potentiell für mehr Mails sorgt, ist die Mitgliedschaft auf der Marktplatz-Liste freiwillig. Praktisch haben sich bisher nur 2 Personen austragen lassen.

Zusätzlich gibt es für jedes der sieben Häuser eine eigene interne Mailingliste.

Um die Mailschwemme etwas zu kanalisieren sammelt eine Bewohnerin jeweils Informationen um alle drei Monate ein ausführlicheres Infomail zu verschicken (Es gab mal einen Plan das als Papier/Zeitung zu machen, aber wurde nie realisiert.)

Aus Datenschutzgründen ist das Archiv der Mailinglisten auf dem Cyon-Server abgeschaltet.

Vorteile:
– Alle kennen das Medium Mail, braucht keine Einführung.

Nachteile:
– Nicht alle Mails kommen an, bleiben in irgendwelchen Spamfiltern hängen, eher unzuverlässig.
– Moderation ist ein dauernder Zeitaufwand, muss relativ schnell passieren und ist aufgrund der alten Mailman-Oberfläche etwas umständlich.
– Der Moderator (Ich) hat viel Macht was den Informationsfluss betrifft.
– Administrativer Aufwand bei BewohnerInnen-Wechsel.
– Konfigurationsaufwand für neue Listen.

Mailverteiler

Weil die Mailinglisten etwas unhandlich sind, gibt es für die Themengruppen einfache Mailverteiler: Eine Mail auf die Verteileradresse wird sofort an die Mitglieder verteilt, ohne Moderation oder Kontrolle (Feature von Cyon.)

Vorteile:
– Einfacher Unterhalt, einfacher Umgang.

Nachteile:
– Kein Spamschutz.
– Administrativer Aufwand bei Mitglieder-Wechsel.

Know-How-Datenbank: Die Grünen Seiten

Schnell ergab sich das Problem dass das Know-How welches über die Mailinglisten verteilt wurde, sich nirgendwo mehr auffinden lies. Gerade neue BewohnerInnen hatten keinen einfachen Zugang dazu.

Wir hatten uns verschiedene FAQ-Tools und Wikis angesehen, aber sind schlussendlich bei einer einfachen WordPress-Instanz gelandet. Ohne spezielles Plugin; unsere Know-How-Artikel sind einfache Seiten in WordPress. Gehosted auf unserem Shared Hosting bei Cyon.

Glücklicherweise haben wir ein Verwaltungsmitglied welches regelmässig bei Anfragen an die Verwaltung die entsprechenden Informationen auf den Grünen Seiten erfasst und danach nur noch darauf verlinkt. So wächst der Berg von Informationen stetig.

WordPress bewährt sich hier sehr gut.

Vorteile:
– WordPress ist ein intuitiv bedienbares CMS.
– Mittlerweile aktualisiert es sich auch praktisch von alleine und braucht wenig Unterhalt.

Nachteile:
– Um die Informationen einfach zugänglich zu machen, sind sie ungeschützt im Netz. Kein Password, nur via robots.txt vom Google-Index rausgenommen.

Dateiablage: Chischte

Wir tauschen Dateien über eine Nextcloud-Instanz aus. Mit dem Plugin Group Folders erstellen wir geteilte Ordner für Themengruppen, Häuser, Verwaltung etc. Darin befinden sich auch Baupläne und Hausdokumentationen. Umfang ca. 100 GB Daten. Gehostet in einem Docker-Container in der Hetzner Cloud.

Parallel dazu läuft ein Elastic Search als Volltextsuche-Provider um die ganzen Dateien durchsuchbar zu machen.

Zusätzliche Features wie Kalender oder Kontakte benutzen wir nicht (Mit Ausnahme Nextcloud Talk, siehe unten.)

Wir haben einen anonymen geteilten Benutzer mit reinem Lesezugang. Nach Bedarf erhalten unsere BewohnerInnen eigene Konten mit Zugang zu den gewünschten Haus- und Themengruppen-Ordnern.

Nextcloud bewährt sich hier sehr gut.

Jeweils Nachts um 03:00 wird die ganze Chischte kurz offline genommen und ein inkrementelles Backup mit Volumerize auf S3 gemacht.

Aufgrund des hohen technischen Aufwandes sehen wir uns aber im Moment nach einer gehosteten Lösung um. Allerdings bieten viele Lösungen die Volltextsuche nicht an.

Vorteile:
– Mächtig.
– Relative intuitiv.

Nachteile:
– Technischer Aufwand ist hoch, besonders für die Volltextsuche und die Updates.
– Genügend RAM im Server notwendig.
– Administrativer Aufwand bei den Zugriffsrechten und Gruppenordner.

Nextcloud Talk

WhatsApp ist auch in unserer Siedlung die erste Wahl für Gruppenchats aller Art. Mit der Revision deren Datenschutzbestimmungen kam die Anfrage nach einer Alternative. Mit Freude haben wir festgestellt dass wir diese bereits haben: Nextcloud Talk ist in Nextcloud integriert. Eine einfache mobile App erlaubt den Zugang dazu, die bestehenden Benutzerkonten können gleich wiederverwendet werden.

Mindestens zwei Themengruppen benutzen Nextcloud Talk aktiv.

Vorteile:
– Einfach Chat-Lösung, besteht bereits.
– Facebook ist nicht involviert.

Nachteile:
– Chat-Apps sehr einfach gehalten.

Reservationssystem

Für unsere Gemeinschaftsräume benötigen wir ein Reservationssystem für Buchungen. Weil wir eines selber schreiben wollten aber nicht schnell genug vorwärts kamen, hat die zuständige Themengruppe vor 8 Jahren als temporäre Lösung angeschafft, die zahlungspflichtige Lösung hier: https://www.supersaas.de

Die Lösung läuft noch immer und erfüllt die Anforderungen für die zwei Räume die damit verwaltet werden (Gemeinschaftsraum und Skylounge). Alle anderen Räume verwalten ihre Reservationen analog auf Papier (Sauna, Werkstatt, Pizzaofen).

Angedacht wäre aber eigentlich schon immer das von SuperSAAS zu entfernen und zum Beispiel in die Nextcloud-Kalender zu integrieren.

Vorteile:
– Funktioniert.
– Kein Login notwendig.

Nachteile:
– Kostet.
– Kein Schutz der Daten, Reservationen können offen eingesehen und manipuliert werden.

Externe Webseite

Unsere externe Webseite ist bewusst getrennt von den internen Grünen Seiten. Die veraltete Drupal-Lösung haben wir wieder mit einer WordPress-Instanz ersetzt. Inhalte werden nach Bedarf ergänzt, wir haben eine Ansprechsperson welche da das Auge darauf hat.

Auch hier haben wir einfach mal was gemacht, ohne gross zu konzipieren und designen. Hauptsache wir haben eine. Die Anforderung ist primär dass freie Wohnungen darauf ausgeschrieben werden können. Allerdings finden wir dass etwas zu wenig Informationen zur Siedlung selber darauf zu finden sind.

Gehostet im Shared Hosting von Cyon.

Vorteile:
– Funktioniert, intuitiv.

Nachteile:
– Inhaltlich noch etwas blutleer.
– Aber inhaltliche Fragen arten gleich immer in grosse Konzepte aus.

Hosting

Wir benutzen ein klassisches Shared Hosting bei Cyon (Basel) für die interne und externe Webseite sowie für die ganze Mail-Funktionalität und DNS.

Für Applikationen benutzen wir Docker auf einem Hetzner Cloudserver (Deutschland) mit 64 GB RAM und 200 GB Festplattenplatz.

Backups werden auf S3 zu Amazon gemacht.

Wir haben immer ein bisschen das Augenmerk auf Datenschutz und ziehen darum selber gehostete Lösungen vor. Allerdings macht uns diesbezüglich der technische Aufwand zum Unterhalt zu schaffen.

Lücken & Alternativen

Wir haben eine Lücke im Ganzen: Die eigentliche Genossenschaftsverwaltung. Diese passiert zum einen bei unserem externen Verwalter, zum anderen intern in einer Excel-Datei auf der Chischte. Unsere Wohnbaugenossenschaft ist klein genug dass das gerade noch geht, aber komfortabel ist es nicht.

Beispielsweise ist es im Moment nicht einfach, eine Subgruppe unserer Mitglieder anzuschreiben (z.B. alle Mieter im C1 mit Kindern).

Die Buchhaltung ist auch extern gegeben und kostet demensprechend.
Wir sehen uns mehr oder weniger intensiv diese Alternativen an:

Clubdesk

Gehostete Vereinsverwaltungssoftware mit Mailinglistenfunktionalität.

Hitobito

Gehostete oder selber hostbare Verbandsverwaltungssoftware, auf Ruby basierend, Open Source, evt. etwas Overkill für eine Wohnbaugenossenschaft unserer Grösse. Aber würde es erlauben dass sich Themengruppen selber organisieren.

Flink

All-in-one-Lösung für Wohnbaugenossenschaften, sehr spannendes Modell, Open Source, Angular, zusammen gehostet mit anderen Genossenschaften.

Wir haben uns aber noch keine Demo von Flink geben lassen, vielleicht wäre das ein sinnvoller nächster Schritt.

WLAN

Wir haben kein gemeinsames WLAN oder LAN über die ganze Siedlung. Es gibt im Gemeinschaftsraum ein einzelnes WLAN mit eigenem Abo.

Ein einziges Haus hat zu Beginn alle 10 Wohnungen auf Eigeninitiative mit einem LAN verkabelt. (Grosser Switch im Keller, LAN-Kabel durch die Rohre zu den Sicherungskästen gezogen.) Sie teilen sich einen Internetanschluss und benutzen VOIP für die Fixnettelefonie.

Kleinigkeiten

  • Unsere gemeinsame IT-Gruppen-Adresse mit Verteiler hat sich bewährt, damit ist man nicht alleine mit dem Beantworten von Fragen & Anliegen.
  • Wir wollten alle Angebote so niederschwellig wie möglich halten. Beispielsweise die Tauschbörse: Die Lösung via Mailingliste ist ziemlich effektiv. Eine eigenen Webseite dafür würde wohl weniger regelmässig beachtet.
  • Feedback ist immer wieder mal: Man braucht doch nicht eine digitale Lösung, man kann ja auch miteinander reden. Und tatsächlich: Die Offline-Lösungen wie Papierreservation und Anschlagbretter funktionieren auch.
  • Nicht alle haben Email und Internet. Einige unserer BewohnerInnen sind offline und dürfen nicht vergessen gehen.
  • Was ich nach 8 Jahre hier bereue: Keinen Blog geführt zu haben zur historischen Dokumentation.

Für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Wie finde ich ein neues Haus?

Das restliche Haus befand sich noch im Bau als wir unsere Wohnung bezogen haben. Selbst jetzt, ein halbes Jahr später, spüren wir noch immer einen Nebeneffekt eines Neubaus: Kein Navi und keine Onlinekarte verrät den Weg zu uns. Gäste, Lieferanten, verspätete Handwerker, Feuerwehr, niemand findet uns ohne direkte Anleitung.

Oberfeld auf Google Maps

Google Maps kennt die Adresse nicht, zeigt aber wenigstens bereits eine Baustelle.

Oberfeld auf Search.ch

Search.ch findet die Adresse exakt, aber da steht kein Haus weit und breit. Auch vom restlichen Quartier fehlt jede Spur.

Oberfeld auf der Open Street Map

Nur die Open Street Map findet sowohl Adresse wie auch ein Gebäude. Dessen falsche Form und die falschen Strassennamen im Quartier werde ich bei Gelegenheit mal korrigieren.

Grundsätzlich ist das ein interessantes Geoinformatik- & Verwaltungsproblem: Wie schnell kommen Informationen über neue Strassen und Gebäude aus den Gemeinden in die öffentlichen Systeme? Open Street Map hat eindeutig die Nase vorne dank einer grossen Zahl von Informanten.